von Dr. jur. Burkhard Oexmann, Rechtsanwalt in Lippetal
Berühmte Pferde haben zwar schwierigste Operationen überstanden, nicht aber die anschließende postnarkotische Phase. Daher sind viele aus- und inländische Pferdekliniken dazu übergegangen, den Tieren im speziellen Aufwachraum eine von Menschen assistierte Aufstehhilfe mechanischer Art angedeihen zu lassen. Allerdings scheint sich diese Betreuungsmethode noch nicht vollständig etabliert zu haben, so dass ein Unterlassen möglicherweise nicht zu einem Schadensersatzanspruch nach §§ 280 Abs. 1 S. 1, 276 Abs. 2 BGB führt. In einem solchen Fall habe ich in unserer Berufungsbegründungsschrift vom 17.12.2012 für den Pferdeeigentümer, dessen Pferd im Aufwachraum ohne assistierte Aufstehhilfe einen Genickbruch erlitt, schriftsätzlich ausgeführt:
In Ansehung der §§ 513 Abs. 1, 546, 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 bis 4, 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO substantiiere ich mein Rechtsmittelpetitum wie folgt:
1.
Der Beklagte hat weder dargelegt noch bewiesen, dass die ihm übertragene Heilbehandlung der Stute der Klägerin mit der im Ergebnis letal ausgehenden Anästhesie einhergehen musste. Hätte der Beklagte etwa statt der operativen eine konservative Therapie gewählt, wäre es nicht zum postnarkotischen Exitus der Stute gekommen. Diesem Aspekt ist das Landgericht nicht, jedenfalls nicht ausreichend nachgegangen. Insbesondere hätte es das
Gutachten eines tiermedizinischen Sachverständigen mit Schwerpunkt
Pferdeorthopädie
einholen müssen. Dass die erstinstanzlich tätige Sachverständige, eine ausgewiesene Pferdeanästhesistin, für dieses Fachgebiet nicht zuständig war, folgt aus den eigenen Angaben der Frau Sachverständigen.
2.
Gemessen am Anmelde-/Aufnahmeschein vom 26.11.2008 (Bl. 21 des Anlagenbandes I) hat der Beklagte die Klägerin nicht, jedenfalls nicht ausreichend und schon gar nicht umfassend über die Risiken der von ihm beabsichtigten operativen Therapie und Anästhesie aufgeklärt. Ausgangspunkt jeglicher tierärztlicher Aufklärung im Bereich der Pferdemedizin sind die
/ in Kopie anliegenden „Leitlinien zur Aufklärungspflicht in der Pferdepraxis“
vom 21.02.2002,
verabschiedet von der Bundestierärztekammer sowie der Gesellschaft der Pferdemedizin unter Mitwirkung namhafter Hochschullehrer und Praktiker wie etwa der in diesem Verfahren als Privatgutachter tätige Tierarzt Dr. B., der verstorbene Prof. Dr. Dr. D., der Münchener Ordinarius für Forensik der Tierheilkunde Prof. Dr. G., der verstorbene Berliner Ordinarius für Pferdeorthopädie Prof. Dr. H., der Vorsitzende der Gesellschaft für Pferdemedizin, der Dortmunder Tierarzt Dr. S., sowie der Telgter Tierarzt Dr. S Zur Narkose heißt es in dieser dem Standard nach § 276 Abs. 2 BGB prägenden Leitlinie: „Bei jeder Narkose, besonders beim Pferd, besteht ein Risiko. Diese Kenntnis kann üblicherweise bei jedem Pferdebesitzer vorausgesetzt werden. Eine besondere Aufklärung über das normale Risiko einer Allgemeinnarkose beim klinisch unverdächtigen Pferd ist grundsätzlich nicht erforderlich. Werden bei der klinischen Voruntersuchung Befunde erhoben, die das Risiko erhöhen, muss der Besitzer informiert und das Gespräch auf dem Krankenblatt dokumentiert werden. Rassebedingte Prädispositionen müssen berücksichtigt werden. Nach einer weltweiten Studie besteht jedoch ein perioperatives Risiko (Narkose- und Operationsrisiko) von 0,9 % (bei Inhalationsnarkose). Darum wird empfohlen, den Besitzer auf das Risiko aufmerksam zu machen“. An anderer Stelle (Oexmann et al., Forensische Probleme der Tierarzthaftung, Gescher 2007, Seite 21) habe ich zur Aufklärung ausgeführt, die Anforderungen, die an die Aufklärung in der Humanmedizin gestellt würden, könnten nicht vollumfänglich auf die Tiermedizin übertragen werden (Hinweise auf OLG Celle VersR 1989, 640; OLG Stuttgart VersR 1996, 1029; OLG Hamm NJW-RR 2001, 1372). Es gehe sowohl dem Veterinär- als auch dem Humanmediziner um die Erhaltung und die Heilung eines lebenden Organismus. In der Humanmedizin stehe jedoch das verfassungsrechtliche aus Art. 2 Abs. 1 GG geschützte Selbstbestimmungsrecht des Menschen sowie die Entscheidungsfreiheit des Patienten im Vordergrund, während die Tiermedizin vorrangig mit dem Schutz wirtschaftlicher Werte befasst sei. Zumindest im Rahmen des Schadensersatzrechtes werde das Tier trotz anderweitiger gesetzlicher Regelungen in § 90 BGB sowie Art. 20a GG immer noch als „Sache“ behandelt, so dass tierärztliche Therapien auch unter wirtschaftlichen Erwägungen zu betrachten seien, selbstverständlich stets begrenzt durch die Gebote des Tierschutzes (dazu Oexmann, Forensische Probleme der Tierarzthaftung beim Pferd, Tierärztliche Praxis, Ausgabe 5/2002, Seite 344 ff.). Fasst man das Aufklärungsmotiv des Tierarztes insoweit mit „Integritätsinteresse“ des Tiereigentümers zusammen, steht im Vordergrund die unstreitig hohe Erfolgsserie des operativen Springpferdes der Klägerin. Dazu überreiche ich
/ anliegend in Kopie aus dem soeben erschienenen „Jahrbuch Sport und Zucht
2012“ der Deutschen Reiterlichen Vereinigung, Warendorf, den das Pferd
„Cynthia 32“ betreffenden Ausdruck, leider endend mit dem 17.08.2008.
In der Zeit vom 22.03.2003 bis zu diesem 17.08.2008, also in nur etwa fünfeinhalb Jahren, hat die Stute 65 Platzierungen im Turniersport erzielt, davon 18 in der schweren Klasse „S“. Dieses Wissen besaß der Beklagte, er musste sich sowohl bei der operativen Therapie als auch im Zusammenhang mit einer eventuell notwendigen Anästhesie einerseits an den Grundsätzen seines Berufsstandes der Pferdemediziner orientieren, andererseits stets den Blick auf das Integritätsinteresse der Klägerin richten. Ich überreiche, da noch nicht publiziert,
/ anliegend in Kopie das aktuelle Urteil des für die Arzt- und Tierarzthaftung
zuständigen 5. Zivilsenats des OLG Koblenz vom 24.10.2012 zu 5 U 603/12
und paraphrasiere zur Haftung des Tierarztes unter Berücksichtigung der an ihn gestellten Anforderungen für die Aufklärung vor einem tierärztlichen Eingriff. Die wirksame Einwilligung in die Operation eines Tieres setze grundsätzlich nicht voraus, dass der Viehhalter nach den für die Behandlung eines Menschen geltenden Maßstäben über Risiken unterrichtet werde, weil es nur um wirtschaftlich Interessen gehe, die allerdings durch die rechtlichen und sittlichen Gebote des Tierschutzes erweitert seien. Der Halter müsse daher vom Tierarzt in die Lage versetzt werden, seine Entscheidung auf Erkenntnisse zu begründen, die seine Operationseinwilligung als Ausfluss einer eigenen wahren inneren Willensbildung erscheinen ließen. Unter diesem Aspekt könne die Operationseinwilligung unwirksam sein, wenn der Tierarzt grundlegende Informationen über statistisch erhebliche Risiken verschweige, die sich durch die Wahl einer anderen Operationsmethode minimieren ließe.
3.
Mit der Frau Gutachterin erster Instanz gehe ich davon aus, dass sich grundsätzlich (aber wirklich nur: grundsätzlich) in Mitteleuropa ein im Sinne des § 276 Abs. 2 BGB relevanter Standard zur assistierten Aufstehhilfe nach Pferdeoperationen noch nicht entwickelt hat. Dazu überreiche ich (in historischer Reihenfolge) anliegend jeweils in Kopie:
4.
Der Beklagte übt als Tierarzt einen im besonderen Maße rechtlich verankerten Beruf aus. Insoweit verweise ich auf
/ meinen in Kopie anliegenden Beitrag „Die rechtliche Multifunktion der Pferdetierärzte“ in: Pferdeheilkunde 2010, 264-274.
Zu nennen sind insbesondere:
5.
Der Beklagte haftet auch wegen Verletzung des tiermedizinischen Standards im Rahmen der Dokumentation von Pferdeoperationen. Unter Hinweis auf den Aufsatz von Bemmann in VersR 2005, 760-767 („Die tierärztliche Dokumentationspflicht und das Einsichtsrecht in tierärztliche Befundbehandlungsunterlagen“) setze ich mich mit dem Narkoseprotokoll vom 21.11.2008 (Bl. 9 des nicht paginierten Anlagebandes I) auseinander. Dort werden anästhesiologische Parameter für die Zeit von 08:50 und 09:35 Uhr angegeben. Es heißt dann, um 09:40 Uhr sei das Pferd „vom Tisch gefahren worden“. Anschließend wird dem Leser ohne jede Zeitangabe und auch ohne Angabe näherer Umstände mitgeteilt
„nach mehrmaligen Aufstehversuchen steht das Pferd, danach wieder umgefallen“.
Zwar kommt der medizinischen wie veterinärmedizinischen Dokumentation forensischer Wert nicht zu; ein Nachfolgebehandler muss der Dokumentation aber entnehmen, ob gegebenenfalls kausale therapeutische Folgeschritte zu entfalten sind. Über das wahre Geschehen in der Aufwachbox verhält sich die Dokumentation nicht. Nun hat das Landgericht in vier Behandlungen geradezu mühevoll versucht, das tatsächliche Geschehen aufzuklären. Ich verweise auf folgende Zeugenaussagen:
Nun darf man davon ausgehen, dass in der über Deutschlands Grenzen hinaus bekannten Tierklinik L. des Beklagten täglich mehrere Operationen unter Vollnarkose durchgeführt werden. Von daher drängen sich höchste Zweifel auf, wenn man die Zeugenaussagen, allesamt subjektiv auf Beklagtenseite stimuliert, unter dem Aspekt der „wie helfe ich meinem Kollegen und Chef?“ zu lesen oder aber sie spiegeln ein so katastrophales postoperatives Management wider, dass es sich aufgrund seiner Einmaligkeit in das Erinnerungsvermögen der Zeugen geradezu eingebrannt hat. Dann aber sind die massiven Verstöße des Beklagten gegen seine Aufklärungs- und Dokumentationspflicht geradezu im Stein eingemeißelt!
6.
Geht man mit der Berufung davon aus, dass der Beklagte die Klägerin nicht, jedenfalls nicht ausreichend umfangreich aufgeklärt hat, dass er eine operative Behandlungsmethode mit den üblichen perioperativen Narkoserisiken wählte, statt der Klägerin eine andere (konservative) Therapiemöglichkeit zu empfehlen, und nimmt man an, dass der Beklagte angesichts des hohen Wertes der Stute von vornherein die Möglichkeit einer assistierten Aufstehphase hätte anbieten müssen, um überhaupt die Klägerin wirksam aufzuklären, liegen mehrfache Fehler des Beklagten im Sinne der §§ 280 Abs. 1 S. 1, 276 Abs. 2 BGB (Standardverstöße) vor mit der Folge, der Beweislastumkehr aus § 281 Abs. 1 S. 2 BGB. Diesen Aspekt hat das Landgericht, aus welchen Gründen auch immer, nicht ventiliert.
7.
Dass die ohne Indikation gewählte operative Therapie unter Vollnarkose und die nicht verwendete Assistenzmethode in der Aufstehphase den Tod des Pferdes kausal verursacht haben, steht außer Zweifel. Die Sachverständige erster Instanz hat den pathologischen Bericht zutreffend interpretiert und zur Kausalität der verschiedenen Fehler des Beklagten ausgeführt, es handele sich um
„ein traumatisches Geschehen infolge unkontrollierter Stürze in der Aufwachbox.“
Dem habe ich nichts hinzuzufügen. Denn die Pathophysiologie des Verletzungsmusters ist ein-eindeutig. Schon daraus ergibt sich eine sekundäre Darlegungslast des Beklagten, vor allem auch unter dem Gesichtspunkt der unzureichenden Dokumentation. Hier hätten schon nach dem ersten Sturz Untersuchungen stattfinden müssen gerade in der postoperativen Phase Befunde erhoben und auch gesichert werden. Zur beweisrechtlichen Relevanz derartiger Befunderhebungs- und Befundsicherungsmängel durch einen Tierarzt verweise ich auf die grundlegende Entscheidung des 12. Zivilsenats des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 26.04.2012 zu 12 U 166/10.
8.
Zusammenfassung: